Die misslungene Auswanderung nach Litauen – Kapitel 4
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Zunächst sah alles so aus, wie auf den Fotos im Internet und den Fotos, die wir zusätzlich per eMail erhalten haben.
Okay, im Wohnzimmer stand nur eine Riesencouch, sonst nichts, aber wir hatten ja jede Menge eigene Möbel und Teppiche mit, die wir teilweise nutzen wollten und dafür Möbel der vermeintlichen Eigentümerin in den Keller /Tiefgarage mit Platz für 5 Autos lt. deren email, unterbringen wollten. Wir hatten vorher auch gefragt, ob genügend Platz für unsere eigenen Möbel sei, da das Haus ja möbliert angeboten wurde.
Das ist in Litauen allgemein üblich.
Unmöblierte Häuser findet man seltsamerweise kaum in Litauen und Polen. Weiß der Geier, warum! Ich habe mir schon den Kopf darüber zerbrochen, worin der Sinn liegt, ein Haus möbliert zu vermieten.
Folgende Theorien fallen mir dazu ein:
- Man kann den Mietpreis richtig schön in die Höhe treiben, da ja nicht nur Wohnraum, sondern auch noch Möbel vermietet werden.
- Man sucht junge Leute, die noch keinen eigenen Hausrat haben – aber dann wohl eher die horrenden Mieten nicht zahlen können
- Man hat Bock auf Miet-Nomaden, für die es ja am einfachsten ist, ohne eigenen Hausrat weiter zu ziehen.
- Das Haus ist schon vermietet oder für Eigenbedarf gedacht, man will mal für ein paar Monate Miete einkassieren und kassiert zunächst Deposit und “last rent” und aktuelle Miete und macht von dem Geld erstmal Urlaub.
Ich weiß: Meine Theorien 2 bis 4 sind gewagt, aber mir fallen beim besten Willen keine anderen plausiblen Erklärungen als die Theorie 1 ein, ein Haus möbliert zu vermieten.
Aber zurück zur Hausbegehung.
Was ist das denn?
Als wir die anderen Räume sahen, drei Schlafzimmer, von denen ich eines als Büro nutzen wollte, dachte ich nur: Oha, da müssen ja einige dieser Bettchen und Spielzeugschränkchen in den sehr geräumigen Keller / Garage (für fünf Autos). Und der letzte große Raum, den ich auch schon verplant hatte war vollgemüllt mit Barhockern, Stühlen, Klimaanlage und Kinderspielzeug.
Als der Nachbar unsere etwas irritierten Blicke sah, sagte er, dass der Eigentümer die Sachen am 2. April abholen wolle. Dann führte er uns weiter in den Keller / Tiefgarage oder was immer das mal werden sollte. Also in der Tiefgarage, in die fünf Autos passen sollten, stand tatsächlich ein Van des Eigentümers und der Rest der Tiefgarage war zugestellt mit Booten, Baumaterial und Verschalungsbrettern.
Ich sagte dem Nachbarn, dass wir hierhin den LKW entladen wollten und wir ja ein Haus gemietet hätten mit Keller. Und dass wir ja gar nicht all unseren Hausrat unterbringen können ,ohne diese Lagerungsmöglichkeit. Er zuckte mit den Schultern und sagte, dass es ja noch eine zweite Garage gäbe, rechts neben dem Haus. Dorthin führte ein Weg durch einen Keller wie ein Labyrinth mit vielen kleinen Räumen – alle vollgestopft mit irgend welchen Sachen des Eigentümers. Wir kamen an einer Ausschachtung von etwa 3 Metern vorbei. Der Nachbar sagte, dass da ein Pool gebaut werden soll, und dort eine Sauna, wenn ich mich recht entsinne. Also das Basement des Hauses war eine große Baustelle.
Und nun?
Dann kamen wir in die “Zweitgarage”. Dort schien der Eigentümer oder Bewohner des Hauses sein Brennholz zu hacken. Und auch hier alles voll von Baumaterial und Brettern. Vielleich hätten wir dort die Hälfte unserer 70 Umzugskartons unterbringen können, aber schon gar nicht unsere Möbel oder die des Eigentümers, die wir nicht nutzen wollten.
Der Nachbar kam dann auf die Idee, unsere Möbel und Kisten halt im ganzen Haus zu verteilen.
Die beiden Russen schauten uns schon verängstigt an wegen der Treppen, denn es war ja abgemacht: Alles in die Tiefgarage oder wie immer man das Teil des Hauses nennen mag.
Ich ging erstmal raus ins Freie, um eine zu schmöcken. Und wollte Gianni aus dem Auto lassen.
Auf einmal merke ich, dass auf der Internetseite das Haus zwar umzäunt war, aber der Zaun war nur zur Straße hin gebaut. Der Rest des Grundstückes war nicht umzäunt. Auf die Idee, dass ein Grundstück nur einen Zaun als Status-Symbol zur Straße hin hat, bin ich nicht gekommen. Aber nun weiß ich, dass es so etwas auch gibt.
Die beiden Spediteure begannen nun mit dem Entladen des LKW. Der Nachbar war wieder auf seinem Grundstück. Er und seine Frau und Kinder bewunderten unseren Gianni. Seine Katze lag auf der Kühlerhaube seines Autos und ich dachte so bei mir: Bitte nicht auf meine Kühlerhaube!
Plötzlich kam der Nachbar, sein Handy am Ohr, ganz aufgeregt zu uns …
Betrügern zum Opfer gefallen
… der Nachbar hatte mittlerweile sein Handy abgeschaltet und sagte uns, dass ihn gerade der Eigentümer des von uns angemieteten Hauses angerufen habe und nicht damit einverstanden sei, dass wir in sein Haus einziehen. Wir erklärten dem Nachbarn, dass wir ja einen Vertrag mit einer Frau abgeschlossen hätten. Wir nannten ihm ihren Namen, zeigten ihm den Mietvertrag. Er sagte: Ja, dass ist die Ehefrau, aber dem Mann gehört das Haus.
Unsere beiden “tapferen Russen”, die Spediteure, kamen nun auch hinzu und schnell stellte sich heraus, dass der Nachbar von russischer Herkunft war und dass sich der Nachbar und unsere Spediteure bestens verständigen konnten. Sie bestätigten uns, dass unser Mietvertrag im Grunde wertlos war, da der Mann als Eigentümer die Gewalt über das Haus hat und nicht seine Ehefrau. Und wenn er uns den Zutritt verweigert, nützt uns der Mietvertrag gar nichts, selbst wenn es seine Ehefrau ist.
Nach über 20 Stunden ununterbrochener Autofahrt ohne Schlaf und über eine extrem harte Strecke durch den Nordosten Polens war ich am Ende meiner Kräfte. Ich hatte mich zwar darauf eingerichtet, noch beim Entladen des LKW zu helfen, aber diese Stresssituation war dann doch ein Tick zu viel.
Sprachlos
Ich musste erstmal alles neu sortieren:
Also, ich habe in Deutschland alles aufgegeben, bin in ein fremdes Land ausgewandert, habe einen Mietvertrag, habe die April-Miete schon Ende Februar überwiesen und stehe jetzt hier mit meinem Hausrat und der Eigentümer verweigert mir den Zutritt. Ein solches Szenario hatte ich nicht auf meiner Liste.
Vielleicht bei einer Auswanderung in den Kongo, aber doch nicht bei einer Auswanderung in ein EU-Land.
Fragt mich nicht, wie lange ich gebraucht habe, um die Situation erstmal überhaupt zu realisieren.
War es eine viertel Stunde, oder eine halbe Stunde?
Selbst unsere Spediteure waren sprachlos und benötigten auch einige Zeit, um für sich die Gedanken zu ordnen.
Dem Nachbarn war die Situation sehr peinlich und er machte erstmal mit seiner Familie einen Spaziergang.
Mir fiel erstmal ein: Deutsche Botschaft anrufen! Gesagt, getan – aber nein, erstmal musste ich mein Handy aufladen, da es durch die Reise und die sich verändernden Standorte zu Einwahlpunkten schneller entladen hat, als üblicherweise.
Ich habe dann jemanden vom Notdienst der Deutschen Botschaft erreicht. Auf die Frage nach seinem Namen sagte er: “Herr”. Ich fragte: Also sind Sie Herr Herr. Er bejahte. Heute verstehe ich natürlich, warum der Herr anonym bleiben wollte – oder sogar musste. Zu dem Zeitpunkt kam mir das schleierhaft vor, aber ich führte das zu diesem Zeitpunkt auf meine Übermüdung zurück.
Der deutsche Botschafter inkognito, Herr Herr
Ich schilderte dem anonymen Menschen, der sich Herr Herr nannte, meine Situation und er sagte sofort, dass das Usus sei in Litauen, Häuser zum Schein zu vermieten, um Mieteinnahmen im Voraus zu kassieren und dann die Mieter nicht einzulassen. Ich möge folgende Dinge beachten:
- Mein Eigentum im LKW sichern oder in Kaunas einlagern.
- Mir ein Hotel für die Nacht zu mieten und auf keinen Fall irgend jemand darüber zu informieren, also keinesfalls jemandem zu sagen, wo ich übernachte.
- Am Montag den Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Vilnius anzurufen, damit er mir weiterhilft.
Ich informierte die Spediteure über den Inhalt des Gespräches und sie sagten, dass es nicht möglich sei, am Sonntag abend eine Einlagerungsmöglichkeit in Kaunas zu finden und dass sie auch nicht bis Montag in Kaunas bleiben können.
Während wir über die Situation diskutierten, kam der Nachbar vom Spaziergang zurück und gesellte sich zu uns. Es schien, als ob auch er erstmal die Situation verarbeiten musste …….
….. Fortsetzung folgt
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