Zicke-Zacke, Zicke-Zacke
Die geschätzte Lesezeit beträgt 5 Minute(n)
Foto: Mainzer Karneval, Anfang der 70er
Als Kind bedeutete für mich die Fastnacht, dass ich mich fünf Tage lang als Indianer oder Cowboy verkleiden und Waffen tragen durfte. Wenn ich Indianer war, schmierte mir meine Mutter Kakao ins Gesicht. Beim Schwitzen verlief dann der Kakao. Bewaffnet war ich dann mit Pfeil und Bogen und natürlich einer Plastik-Axt. Damals konnte man noch ungeniert damit herumlaufen, im Gegensatz zu heute.
Aber nicht nur als Cowboy, sondern auch als Indianer trug man seltsamerweise eine Pistole mit den legendären Zündplättchen mit dem charakteristischen Geruch. Nein, ohne Geknalle ging Fastnacht nicht. Die ganz Mutigen haben diese Knallplättchen auch mit den Fingernägeln gezündet.
Dann ging es am Faschingssamstag in die Binger Stadthalle zur Kinderfastnacht und als ich älter wurde, fuhr man am Rosenmontag in der Clique mit dem Zug nach Mainz. Ohne Fahrkarte. Die Schaffner bekamen einen Schluck aus der Weinflasche und gut war. Damals hat man ja auch noch in Cliquen Bier aus dem Stiefel getrunken, ohne Angst vor Aids haben zu müssen.
Und am Rosenmontag hat man sich mit wildfremden Menschen Weinflaschen geteilt, ist nach dem Umzug zusammen durch Kneipen gezogen und man konnte damals noch zur Fastnacht ein fremdes Mädel küssen, ohne sich eine einzufangen. Heute aufgrund der vielen fremden Kulturen, um es mal vorsichtig auszudrücken, in unserem Land gar nicht mehr denkbar.
Das waren noch Zeiten, da wurde einem nicht so wie heute der Mund verboten, es gab noch keine Zensur und sogenannte “Political Correctness”. Man durfte noch zu Mohrenköpfen Negerküsse sagen und Schwulenwitze machen.
Hmmm, viel mehr fällt mir jetzt zum Karneval von damals nicht ein. Vielleicht liegt es auch daran, dass wir in dieser Zeit fünf Tage gar nicht mehr nüchtern wurden. Oder daran, dass ich die meiste Zeit meines Lebens in Karneval-freien Zonen gelebt habe. Doch selbst in Bundesländern, die früher mit Fasching nichts zu tun hatten, wird heute auch dort Karneval gefeiert, weil man sich wohl dachte: Wenn die Rheinländer feiern, wollen wir uns dieses Recht auch nehmen.
Doch auch in anderen europäischen Ländern hat der Karneval eine lange Tradition: Der Karneval von Rijeka ist heute eine der größten und bekanntesten Veranstaltungen an der östlichen Adria. Auch der “Tuntenwettlauf” auf Teneriffa, die Konfettischlacht an der Côte d’Azur oder andere Städte und Regionen in Europa feiern die “Fünfte Jahreszeit“.
Faslam ist nicht Fastnacht
Wir lebten von 1990 bis 1995 in Wulfsen, einer Gemeinde im Landkreis Harburg in Niedersachsen. Wulfsen liegt etwa 30 km südlich von Hamburg und dort nannte man Karneval “Faslam” und feierte es etwa vier Wochen vor dem rheinländischen Karneval.
Warum? Vielleicht konnten die Wulfsener es nicht erwarten, endlich die fünfte Jahreszeit abzufeiern. Denn man feiert gerne in Wulfsen. Sehr gerne sogar!
Doch inzwischen habe ich recherchiert und weiß nun, dass Faslam nichts mit dem rheinischen Karneval, dem Fasching oder der Fassenacht zu tun hat. Und dazu musste ich 67 Jahre alt werden.
Also: Faslam ist – so habe ich bei Wikipedia ergoogelt – ein alter ländlicher, niederdeutscher Winterbrauch um die Wintersonnenwende herum, so etwa vier Wochen vor dem rheinischen Karneval und hat mit diesem außer den Trinkgelagen nichts zu tun.
Da die Bauern im Winter nicht viel zu tun hatten, wollten in früheren Zeiten die Bauern auch ihren Mägden und Knechten mal ein ordentliches Saufgelage gönnen und so entwickelte sich dieser Brauch. Oder so ähnlich.
Faslam in Wulfsen
Egal, in Wulfsen läuft das Faslamsfest heutzutage so ab:
“Für die Organisation des Faslams sind in Wulfsen die Faslamseltern zuständig, traditionsgemäß immer Männer. Der Jüngere ist die Faslamsmudder und der Ältere der Faslamsvadder. In Orten mit gemischtgeschlechtlichen Faslamseltern ist die weibliche Person der Faslamsvadder und die männliche Person die Faslamsmudder. Sie müssen sich um alles kümmern, vom Bestellen der Musik, über Geschenke für die Kindermaskerade und Koordinieren des Gesamtablaufs bis Kleingeld für die Kassen.
Die eigentliche Faslamszeit beginnt schon vor Weihnachten mit dem Bauen der Wagen für den Umzug. Am zweiten Weihnachtstag wird dann offiziell der Faslam angebunden.
Der Wulfsener Faslam findet immer am letzten vollen Wochenende im Januar statt und beginnt mit dem Schmücken des Saales am Donnerstag. Am Freitag findet ein Preisskat und Preisknobeln statt. Der Sonnabendnachmittag gehört allein den Kindern mit ihrer Maskerade und am Sonnabendabend ist Lumpenball. Sonntagnachmittag ist dann der Faslamsumzug mit anschließendem „Danz up de Deel“ bei freiem Eintritt für alle. Montagmorgens treffen sich die (traditionsgemäß männlichen) Schnorrbrüder, um dem alten Brauch folgend Naturalien für den Abend zu schnorren (natürlich wird in der heutigen Zeit eine Geldspende lieber gesehen). Seit ein paar Jahren treffen sich einige Faslamsschwestern morgens zum Frühstück, um anschließend als Putzfrauen das Dorf vom Schmutz des Umzugs zu befreien. Am Montagabend wird das Geschnorrte dann bei Büttenreden und Vorführungen verzehrt.
Als Ausklang des Festes werden am Dienstagabend die neuen Faslamseltern gewählt.” Zitat: Wikipedia
Die Schweinepreise steigen
So oder so ähnlich lautet das Faslamslied:
Und alle Faslamsbrüder,
leben so wie ich und du,
alle Faslamsbrüder leben so wie ich.
Sie legen sich besoffen nieder,
stehen auf und saufen wieder,
alle Faslamsbrüder leben so wie ich.
Hoch das Bein, die Schweinepreise steigen,
hoch das Bein, die Schweinepreise steigen!
So lang wie der Mors inne Büx noch passt
wird keine Arbeit angefasst,
so lang wie der Mors inne Büx noch passt
wird keine Arbeit angefasst!
FASLAM!
Irgendwo zwischen meinen alten, noch nicht digitalisierten und entsorgten Videokassetten muss ich noch Aufnahmen vom Faslamsumzug 1992 in Wulfsen haben. Bisher habe ich die Kassette allerdings noch nicht gefunden, dafür aber ein kurzes Video vom Faslamsumzug 2010 in Wulfsen bei youTube. Und dass die Aufnahme etwas verwackelt ist, macht sie doch erst authentisch, oder?
Vielleicht interessiert dich auch mein Blogartikel über meine Heimatstadt, Bingen am Rhein
Views: 288
Eine Antwort
[…] Vielleicht interessiert dich auch mein Blogartikel “Zicke-Zacke-Zicke-Zacke” […]