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Mein Vater und ich in Rimini, Anfang der 60-er
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Im Februar 2024 wurde er 95 Jahre alt. Zuletzt habe ich ihn 1982, vor 42 Jahren gesehen, meinen Vater, den Professor. Oder sollte ich besser sagen: Meinen Erzeuger?
Nein, das wäre ungerecht, ihn nur als den Erzeuger zu degradieren, wenn es tatsächlich mein leiblicher Vater ist und ich kein Kuckuckskind war. Mehr dazu am Ende des Artikels.
Ich erinnere mich nämlich auch an schöne Stunden als Kind und Jugendlicher mit ihm. Als wir immer mit meiner (oder war es seine?) elektrischen Eisenbahn gespielt haben. Sie wurde jedes Jahr zu meinem Geburtstag auf einer etwa zwei mal drei Meter großen Platte im Foyer aufgebaut und blieb dort bis Mitte Januar.
Noch heute habe ich diesen ganz bestimmten, aber schwer zu beschreibenden Geruch von Trafo, Öl und Metall in der Nase. Ich glaube, man roch irgendwie sogar den Strom. Meinem Vater machte das Bauen und Spielen mit der Modelleisenbahn mindestens genauso viel Spaß wie mir und meinen Freunden, auch wenn es “nur” eine Trix und nicht die teurere Märklin war. Gab es schon damals, diese Denke. Schlimm.
Der sicherlich für mich schönste Urlaub und die intensivste Zeit mit meinem Vater, an die ich mich erinnern kann, war der Urlaub in Rimini, an der italienischen Adria.
Das war Anfang der 60er, ich war noch in der Grundschule und wir hatten damals einen VW Käfer, den mit dem geteilten Rückfenster und in dem einem als Kind immer schlecht wurde, weil es so nach Benzin roch. Meine Schwester musste bei den Großeltern bleiben. Warum, kann ich heute nicht mehr nachvollziehen. Vielleicht, weil sie noch nicht schwimmen könnte. Sie war ja zwei Jahre jünger als ich.
Aber wenn ich mich noch recht entsinne, war ich hinten auf der Rückbank auch ganz schön eingeklemmt zwischen Gepäck, das in den kleinen Kofferraum vorne beim VW nicht hinein passte. Sogar der Fußraum war voll Gepäck, nur eine kleine Stelle für meine Beine war noch frei. Meine Schwester hätte da eigentlich auch gar keinen Platz mehr gehabt, wenn ich heute so darüber nachdenke.
Schwimmen konnte ich ja schon und so bin ich immer mit meinem Vater zu einer der Molen, die dem Strand von Rimini vorgelagert sind, geschwommen. Manchmal sind wir auch mit einem Tretboot zur Mole gefahren. Mein Vater hatte mir eine Angel gebastelt und als Köder haben wir Muschelfleisch genommen. Und tatsächlich hat auch schnell ein Fisch angebissen.
Ich glaube, damit hatten wir beide nicht gerechnet und mein Vater nahm den Fisch vorsichtig vom Haken und entließ ihn wieder in die Freiheit.
Es gab nicht viele Momente, in denen ich mich meinem Vater so nah fühlte wie damals in Rimini. Er war auch eher der Typ, der körperlichen Kontakt nicht unbedingt gesucht hat. Also Küsschen und Schmusen war nicht so sein Ding. Und wenn ich jetzt so zurückdenke, kann ich mich auch nicht entsinnen, dass meine Mutter mich regelmäßig in den Arm genommen und liebkost hat, obwohl sie das sicherlich manchmal auch getan hat.
Doch zurück nach Rimini, der Geburtsstadt von Frederico Fellini, Teutonen Grill in den 60ern genannt und heute Wochenendausflugsziel reicher Russen. Ich durfte ja die lauen Abende bis in die Nacht mit meinen Eltern verbringen, mit ihnen durch die Altstadt schlendern, Gelato lutschen, Bars und Cafés besuchen und bis nach Mitternacht dort draußen sitzen und mich wie ein kleiner Italiener fühlen.
Ach ja, ich entsinne mich noch an solche Fahrräder mit Dach für vier Personen, Rei in der Tube, das wir mitgenommen hatten und an unzählige Fledermäuse, die man spätabends sah oder eher hörte, wenn sie ihre sogenannten Soziallaute abgaben. Nicht zu verwechseln mit den Ultraschalllauten.
Eine besonders schöne Erinnerung habe ich an den Urlaub mit meinen Eltern und meiner Schwester in Wangen am Untersee (Bodensee) 1966. Da war ich 13 und meine Schwester 11 Jahre alt. Ich kann mir heute allerdings gar nicht vorstellen, wie ein großes Schlauchboot mit zwei Sitzen und zwei schweren Holzpaddeln und das ganze Gepäck für 4 Personen in einen VW Käfer gepasst hat. Und einen Dachgepäckträger hatten wir ja auch nicht, wie man auf dem Foto sieht.
Wenn mein Vater mittags oder nachmittags von den Vorlesungen an der Technischen Hochschule Bingen kam, hatte ich meist schon Schulschluß und setzte mich bei gutem Wetter auf den Balkon, um lateinische oder alt-griechische Vokabeln zu lernen. Dort hatte ich einen Blick auf den Südhang der Weinberge unterhalb der Rochusallee und Richtung der Hildedardisschule. Da verlief der sogenannte “Matschweg”, den mein Vater auch als Abkürzung – wie wir als Schulweg nahmen -, und ich konnte ihn immer schon von weitem ankommen sehen. Zur Technischen Hochschule war es noch kürzer als zum Stefan-George-Gymnasium.
Meist haben wir gemeinsam Mittag gegessen und dann hat sich mein Vater auf die Couch gelegt und von seinem Uher-Tonbandgerät klassische Musik gehört. Den Geruch seiner Nylonsocken habe ich heute noch in der Nase. Aber eine Stunde war das Wohnzimmer dann tabu. Wenn er nicht da war, durfte ich sein Tonbandgerät auch benutzen, mit eigenen Bändern natürlich, um “meine Musik” aufzunehmen: Uriah Heep, Pink Floyd, Santana, in der Art. Das war schwieriger aufzunehmen als klassische Musik, weil bei diesen Songs immer vom Moderator reingesprochen wurde. Bei klassischer Musik selttsamerweise niemals. Die wurde am Stück bis ans bittere Ende durchgespielt.
Einmal hatte ich wegen der Lautstärke meiner Musik Streit mit meinem Vater. In einem kleinen Wortgefecht sagte ich zu ihm “Du Blödmann.” Da hat er mir eine Ohrfeige verpasst. An die entsinne ich mich ganz genau, denn es war die einzige, die ich von meinen Eltern erhalten habe. Dafür aber umso mehr in der Schule. Aber auch da erinnere ich mich an jede einzelne, als ob es gestern gewesen ist. Diese Ohrfeigen sind unauslöschbar in mein Gedächtnis eingebrannt.
Väterliche Liebe hat mir mein Vater nie gezeigt oder zeigen können, er hat mich – soweit ich mich erinnere – niemals in den Arm genommen oder gedrückt. Im Nachhinein betrachtet, bin ich ohne elterliche Liebesbeweise aufgewachsen. Meine Mutter hat mich sogar vor meiner Frau, vor Vera-Marleen, und ihrer Mutter Brigitte immer wieder schlecht gemacht. Deshalb habe ich dann auch den Kontakt zu ihr abgebrochen. Auch Vera-Marleen konnte dieses ewige Schlechtmachen irgendwann nicht mehr ertragen.
Mehr über Bingen in einem anderen Blogartikel.
Sehr genau entsinne ich mich auch an die extrem kleine Schrift meines Vaters und warum er so klein geschrieben hat: In der Zeit, als er studiert hat, war das Papier knapp und er musste sich sogar auf Klopapier Aufzeichnungen bei Vorlesungen machen. So hat er mir das mal erklärt. Und dass er eigentlich Medizin studieren wollte, aber beim Sezieren in einer forensischen Vorlesung sei ihm schlecht geworden und er hat das Studienfach gewechselt. Das habe ich noch aus seinen Erzählungen in Erinnerung. Und dass er mit 16 Jahren Flakhelfer war. Ansonsten wurde weder zu Hause noch in der Schule über den Krieg gesprochen. Das war irgendwie ein Tabuthema.
Die Namen seiner Professoren-Kollegen habe ich auch noch alle im Kopf: Teubner, Jacobi, Berg, Prätorius, Heim, Sittig … Sie waren allesamt älter als mein Vater. Er war damals der jüngste Professor, glaube ich. In Bingen auf jeden Fall. Die Studenten haben ihm teilweise Streiche gespielt, weil sie dachten, er sei einer Ihresgleichen, auch Student.
Kurz bevor ich 18 wurde und den Führerschein machen konnte, hat mein Vater mir auf landwirtschaftlichen Wegen in den Weinbergen erlaubt, in seinem Beisein mit seinem Auto zu üben. Das war der 1968 herausgebrachte VW 1600 mit Stufenheck. Den gab’s auch mit Fließheck, aber von der Schrägheck-Variaiante hatte mein Vater wohl genug und wollte endlich mal eine echte Limousine fahren, denke ich mir.
Meine langen Haare damals mochte mein Vater nicht so. Heute kann ich das gut verstehen, denn ich finde kurze Haare bei Männern besser. Aber damals kämpfte ich wie ein Löwe, schloss mich nachts sogar in mein Zimmer ein, um meine Haarpracht nicht durch eine nächtliche Aktion meiner Eltern zu verlieren. Sie drohten nämlich, sie mir im Schlaf abzuschneiden. Ich habe mir sogar die Haare mit dem Lockenstab glatt gezogen, da sie dann länger waren als gelockte Haare.
Wie bescheuert ich damit aussah, wollte ich damals nicht wahrhaben. Im Gegenteil, ich fand meine Haarpracht wohl cool. Dieses Wort benutzte man damals allerdings noch nicht. Da sprach man noch sauberes Deutsch. Oder eben regionale Dialekte. In Bingen spricht man rheinhessisch (rhoihessisch).
Meine erste journalistische Tätigkeit als Herausgeber einer Jugendzeitung 1970 dagegen fand mein Vater gut. Daran glaube ich mich zu erinnern. Er hat mir sogar bei der Recherche zu dem Artikel “An den Haaren herbeigezogen” geholfen. Damals konnte man ja nicht so wie heute ganz einfach über das Internet recherchieren. Da musste man sich im Brockhaus oder ähnlichen Nachschlagewerken Informationen suchen.
Galerie “Dialoge” ist noch nicht perfekt, scanne die Seiten der Zeitschrift demnächst neu ein … Falls es überhaupt jemanden interessiert …
Als ich etwa 20 Jahre alt war, trennte sich mein Vater von meiner Mutter. Damals sah ich das anders als heute und hielt mehr zu meiner Mutter, den schwächeren Part meiner Eltern. Ob das ein Grund war, dass mein Vater sich seitdem von mir distanzierte und bis heute im Alter von 95 Jahren kein Interesse an mir, seinem Sohn zeigt? Ich werde es wohl niemals erfahren.
Während meines Studiums Mitte der 70-er Jahre hatte ich noch ein paar Mal telefonischen Kontakt mit ihm, das war aber auch schon recht distanziert. Mein Studiengeld musste ich mir durch Jobs nebenbei verdienen und lebte als Student überwiegend von Pichelsteiner Eintopf. Meine Schwester hat sich einen Teil des Geldes für ihr Studium gerichtlich einfordern müssen, wenn ich das noch richtig in Erinnerung habe. Ich habe es erst gar nicht versucht, meinen Vater um finazielle Unterstützung zum Studium zu fragen, obwohl er dazu rechtlich verpflichtet gewesen wäre. Der Vermieter meines Studentenzimmers, ein Däne, hat mir immer Reste vom Abendessen seiner Familie zukommen lassen. Das werde ich nie vergessen.
Es macht mich traurig, wenn ich darüber nachdenke, dass ich die wichtigsten Entscheidungen meines Lebens ohne den Rat (m)eines Vaters treffen musste und er mich vor über 40 Jahren verstossen hat. Er hat nie von sich aus zu mir Kontakt aufgenommen oder auf meine Briefe geantwortet hat. Anfang der 90-er Jahre,, als meine Schwester aus Istanbul zu Besuch bei uns war, habe ich ihr einen Brief für meinen Vater, den sie regelmäßig besuchte, mitgegeben. Auch auf diesen ziemlich emotonalen Brief habe ich nie eine Antwort erhalten. Auf Rückfrage damals bei meiner Schwester antwortete diese, er habe den Brief ungeöffnet in die Schublade seines Schreibtisches gelegt.
Zu meiner Hochzeit 1980 habe ich ihn nach Hamburg eingeladen. Keine Reaktion. Ende der 80-er, als ich als Reiseveranstalter Ferienhäuser in Montenegro vermietet habe und Flüge dorthin gechartert habe, habe ich ihn nach Montenegro eingeladen. Keine Reaktion.
Der Einladung meiner Schwester nach Istanbul folgte er allerdings. wie ich später erfuhr.
Mitte bis Ende der 90-er Jahre habe ich all meinen Mut zusammen genommen und versucht, ihn telefonisch zu erreichen. Es meldete sich ein junger Mann mit “Dauer” und als ich sagte, “hier auch Dauer, könnte ich bitte meinen Vater sprechen”, war erst kurzes Schweigen, dann wurde einfach aufgelegt. Weitere Versuche unmittelbar nach dem Auflegen scheiterten, niemand ging mehr ans Telefon.
Hat er noch einen Sohn gezeugt? Muss ja so sein, wenn ein junger Mann den gleichen Nachnamen hat. Die Antwort darauf werde ich erst in einem möglichen Erbschaftsfall erhalten. Eine Auskunft beim Standesamt entfällt wegen dem übertriebenen Datenschutz in Deutschland.
In all diesen Jahrzehnten ist mein Vater für mich ein wildfremder Mensch geworden ist, so wie ich für ihn natürlich auch. Ich kann noch nicht einmal heulen, wenn ich das hier heute schreibe. Vielmehr träume ich sehr oft von ihm, fast genauso oft wie von meinem treuen Hund Gianni. Diese Träume sind für mich eine hohe seeliche Belastung. In den Träumen sehe ich meinen Vater natürlich noch so, wie er Anfang vierzig aussah. Ich könnte jetzt ein Bild von ihm nehmen und mit einem speziellen KI-Programm simulieren, wie er heute mit 95 Jahren aussehen könnte.
Ich könnte auch in die Bäderstadt, in der er auf dem Sonnenberg lebt, fahren und versuchen, ihn zufällig zu treffen. Nein, ich behalte ihn so in Erinnerung, wie ich ihn das letzte Mal 1982 gesehen habe. Auch in meinen unzähligen Träumen ist er immer in diesem Alter oder jünger.
Bei Quora habe ich folgende Frage gestellt: “Stelle dir vor, du hast deinen Vater seit 40 Jahren nicht mehr gesehen. Du bist jetzt 66 Jahre alt und dein Vater wird morgen 90 Jahre alt. Er lebt 700 km entfernt und steht ganz klassisch im Telefonbuch. Was würdest du morgen tun?”
Hier der Link zu den Antworten, die ich bekommen habe.
Oder welche schönen Erinnerungen andere Quora-Autoren an ihren Vater haben …
Nun ist ein weiteres Jahr verstrichen und ich habe täglich an meinen Vater denken müssen und hatte auch Träume über ihn. Heute ist er 91 Jahre alt geworden.
Wie er seinen Geburtstag wohl feiert? Ich weiß es nicht.
Er ist ja eigentlich nach so langer Zeit, nach 38 Jahren ein Fremder für mich geworden, so wie ich ein Fremder für ihn wäre. Das könnte man nicht mehr aufholen. Was man da alles erzählen müsste …
Ich höre auf, hier weiter zu schreiben. Es macht mich zu traurig.
Als bei mir Ende Juli Zungenkrebs im Anfangsstadium diagnostiziert wurde und ich zwangsläufig mit meinem Tod konfrontiert war, habe ich nochmal über die Kontaktverweigerung meines Vaters zu mir nachgedacht.
“Wenn sich Eltern von ihren Kindern oder Kinder von ihren Eltern lossagen, verstößt das gegen eine Art Lebensgesetz.
Von Freunden, Geschäfts- oder Ehepartnern kann man sich trennen, aber doch nicht von Mama, Papa, Sohn oder Tochter!
Dass Vater und Mutter zu „ehren“ sind, ist schließlich seit mehreren tausend Jahren religiöses Gebot, und dass „Blut dicker ist als Wasser“, ist eine bekannte Volksphilosophie. „Die Beziehung zwischen Eltern und Kindern ist von sehr vielen Mythen gekennzeichnet“, sagt die Wiener Psychologin Sabine Standenat.
„Da gibt es die sich ,verströmende Mutterliebe‘ auf der einen, und die ,Ehre‘, die man den Eltern schuldet, auf der anderen Seite – unabhängig davon, was eventuell vorgefallen ist. Deshalb ist ein Kontaktabbruch ein Versagen, dem sich niemand gern stellen will“, sagt die Psychologin.
… „Manchmal ist es gesünder, den Kontakt abzubrechen, als unter fortwährenden Enttäuschungen oder Lieblosigkeit zu leiden“, konstatiert die Familientherapeutin Sabine Standenat.
… Wenn sich das eigene Fleisch und Blut plötzlich entzieht, „ist das ein Verlust, wie der eines Körperteils. Der Schmerz ist unerträglich, weil das als Lebenskonzept im Gehirn nicht integriert ist. Eine hochgradige Störung des emotionalen Empfindens wird zum schmerzhaften Dauerzustand“, schildert Rita Frick, Leiterin der Selbsthilfegruppe Verlassene Eltern / Töchter / Söhne in Ebermannstadt, einer bayerischen Kleinstadt, die Erfahrungen aus der Selbsthilfegruppe. Anders als beim Tod eines nahen Menschen, der definitiv ist, bedeutet Kontaktabbruch einen Schwebezustand, in dem es Betroffene nicht schaffen, Frieden zu finden und abzuschließen. „Es bleibt immer ein Zweifel an dem, was ist. Die Hoffnung und das Grübeln zermürben“, so Frick.” Zitat aus “Adieu, Kind! von Julia Schnizlein
Es ist auch erwiesen, dass der Verlust des Vaters durch Kontaktabbruch schlimmer ist, als ein Verlust durch Tod.
Ob mein Vater weiß, was er mir mit der Kontaktverweigerung angetan hat? Und mehr noch damit, dass er mir nie einen Grund dafür genannt hat. Was muss man nur getan haben, dass sich ein Vater so gegenüber seinem Sohn so verhält? Ich werde es wohl nie erfahren.
Mein Vater hat mir geschrieben.
Nein, natürlich nicht selbst, sondern über einen Anwalt beziehungsweise das Amtsgericht. Es geht um die Rückabwicklung des Versorgungsausgleiches seiner ersten von drei Ehen, ein ziemlich kompliziertes Thema, wie ich nach kurzer Recherche feststellen musste. Er klagt in einer Familiensache (welch ein Hohn für mich, das Wort) gegen meine 1997 verstorbene Mutter und versucht, mich in einem Versorgungsausgleichsverfahren als deren Rechtsnachfolger auf Versorgungsausgleich regresspflichtig zu machen.
Dies läuft allerdings ins Leere, da meine Schwester damals wohl nur wenige Tage vor dem Tod meiner Mutter, die übrigens an Zungenwurzelkrebs verstorben und mir den Zungenkrebs aller Wahrscheinlichkeit nach “vererbt” hat, eine sehr zweifelhafte Testamentsänderung erwirkt hat.
Selbst meinen Pflichtteil habe ich damals nicht vollständig erhalten, weil ich von meiner Schwester – wie dies so oft in Erbangelegenheiten passiert – um den Pflichtteil für das gesamte Sachvermögen betrogen wurde. Da sie in der Türkei lebt, war es damals zumindest nicht möglich beziehungsweise extrem schwierig, gerichtlich gegen sie vorzugehen.
Selbst das damalige Amtsgericht hat genau aus diesem Grund die gesamten Gerichtskosten von mir eingefordert. Leider hatte ich damals 1998 unfähige Berater und das Internet war noch nicht so informativ wie heute, so dass ich die Gerichtskosten in vollem Umfang bezahlt und von meiner Schwester auch trotz Aufforderung nie die auf sie und ihre Tochter anfallenden Gerichtskosten zurückbekommen habe.
Deshalb habe ich damals den Kontakt zu ihr abgebrochen, denn den “eigenen Bruder” zu betrügen ist wohl das allerletzte.
Es kommt also Bewegung in diese unglaubliche “Familiensache” und nun werde ich nicht nur wieder an meinen egoistischen, hartherzigen und feigen Vater, sondern auch an meine Schwester erinnert, die ihren eigenen Bruder und wahrscheinlich auch den Vater betrogen hat, indem sie nachweislich Akten aus einem Nachlass unterschlagen hat.
Ich habe das Gericht um einen gerichtlichen Hinweis gebeten, was mein Vater genau von mir will, aber natürlich keine Antwort darauf erhalten.
Nach meinen Recherchen über den juristischen Hintergrund geht es in dem Wertausgleich gem. § 31 VersAusglG um eine mögliche Regressforderung gem. § 37 VersAusglG wegen Verletzung der Auskunftspflicht gemäß § 4 VersAusglG des Antragstellers an die Erben oder eine verfahrensrechtliche, rein formelle Angelegenheit im Sinne einer Ersatzbeteiligung für die Verstorbene, da ja ein Verfahren ohne Gegner nicht möglich ist.
Einfacher wäre es ja gewesen, er oder sein Anwalt hätten mir persönlich gesagt, was sie von mir wollen. Nun habe ich es erneut mit einem deutschen Gericht zu tun, was ich niemals wieder wollte aufgrund meiner schlechten Erfahrungen mit der deutschen Justiz.
Traurig, eine solch kaputte “Familie” zu haben!
Wie sehr beneide ich doch Menschen, die eine intakte, liebevolle Familie und somit eine gewisse Geborgenheit und auch Sicherheit haben!
Wie gerne hätte ich als Heranwachsender gewusst, wie genau man ein solch stabiles und zufriedenes Leben führt, wie mein Vater es ganz offensichtlich lebt.
Leider hat mich mein Vater überhaupt nicht erzogen. Mir hat das Leben später dann erst knallhart gezeigt, wie es funktioniert. Das hat mich allerdings viel Nerven, Geld und Gesundheit gekostet. Kein einziges Mal hat mir ein Vater nach meinem Auszug aus dem Elternhaus mit Ratschlägen geholfen oder dies angeboten. Kein einziges Geschenk habe ich von ihm bekommen, weder zum Geburtstag noch zu Weihnachten oder zur Hochzeit. Ich war nun mal der verstoßene Sohn und bin es bis heute, ohne zu wissen, warum.
Seit Jahrzehnten suche ich nach den Gründen dieses abweisenden, ja menschenverachtenden Verhaltens meines Vaters.
Ein Grund könnte sein, dass er einen Schlussstrich ziehen und mit seiner “alten Familie” nichts mehr zu tun haben wollte. Da er zu seiner Tochter allerdings Kontakt mit gegenseitigen Besuchen pflegt, kann dies nicht der Grund sein.
Ein anderer Grund könnte sein, dass ich ein Kuckuckskind bin, also gar nicht sein leiblicher Sohn. 4% der Kinder weltweit sind Kuckuckskinder. Warum nicht auch ich?
Dieser Grund liegt seinem Verhalten nach zu urteilen am nächsten, zumal ich auch gar keine Ähnlichkeit mit ihm und seiner Tochter habe.
Ich habe eher Ähnlichkeit mit meiner Mutter, was wiederum ein weiterer Grund seines Verhaltens gewesen sein könnte, weil er nicht an meine Mutter erinnert werden wollte.
Nachtrag: Seit Juli 2024 steht er und seine Frau nicht mehr im Telefonbuch. Das ist bei einem Vornamen wie Siegfried (und Ursula) natürlich in Bezug auf sogenannte Enkelanrufe von Betrügerbanden auch sinnvoll und empfehlenswert.
Heute habe ich übrigens auch den bisher neutral gehaltenen Titel von “Mein Vater, der Professor” auf “Vom Vater verstoßen” geändert. Das ist ja auch die traurige, brutale Wahrheit.
Update August 2024
Heute habe ich auf einem öffentlichen Instagram-Account meiner Schwester, die im Großraum Istanbul lebt, ein aktuelles Foto meines mir gegenüber kaltherzigen 95-jährigen Vaters gefunden. Ohne Namen, aber obwohl ich ihn seit über 40 Jahren nicht mehr persönlich oder auf einem Bild gesehen habe, habe ich ihn erkannt.
Er sitzt da lächelnd umgeben von unzähligen Kunstgegenständen in seinem Haus, welches ich durch Google-Streetview kenne.
Im Hintergrund sehe ich auch ein Gemälde des ungarischen zeitgenössischen Künstlers Arpad Bari mit dem Titel “Der Baum der Einsamkeit” und ein Bild von Menschen am Meer ähnlich dem “Sommertraum” von Paul Thierry.
Nun hat das Übel meiner Albträume endlich ein Gesicht.
Ein sehr seltsames Gefühl jetzt für mich zu wissen, wie mein “Vater” heute aussieht. Hilft mir das nun psychisch oder macht das jetzt alles noch schlimmer für mich? Ich weiß es noch nicht.
Ich glaube nach einigen Tagen, dass es mir hilft, endlich mit diesem mir inzwischen völlig unbekannten Menschen auf dem Bild unten, abzuschließen. Bisher hatte ich ihn ja vierzig Jahre jünger in Erinnerung. Auch in meinen Träumen. Das was ich jetzt auf dem Foto sehe, ist ein Fremder.
Er macht den Eindruck auf mich, dass all diese toten, antiken Gegenstände hinter und neben ihm der Inhalt seines Lebens sind, und nicht Menschen wie sein leiblicher Sohn. Den hat er wahrscheinlich schon lange aus seinem Gedächtnis verbannt. Wie sonst könnte man es aushalten, mit der Existenz eines Sohnes, zu dem man den Kontakt verweigert, zu leben?
Seine Tochter, meine Schwester, die ihn wohl einmal im Jahr besuchen darf, lächelt er auf dem Foto an. Irgendwie sehr ungerecht und zutiefst verletzend für mich, aber vielleicht auch hilfreich, diesen Menschen endgültig auch aus meinem Gedächtnis zu verbannen, so wie er es mit mir praktiziert hat. Nur funktioniert es bei mir nicht. Ich denke und träume weiterhin von ihm und meiner Schwester.
Und wenn ich so nachdenke: Wie armselig und erbärmlich ist das Verhalten einer Schwester, die in vierzig Jahren noch nicht einmal versucht hat, Vater und Sohn wieder zusammen zu bringen.
Ob seine dritte Frau etwa in meinem Alter oder sogar jünger, die er irgendwann vor etwa 40 Jahren geheiratet hat und die ich jetzt auch zum ersten Mal im Instagram-Account meiner Schwester glaube gesehen zu haben, hätte versuchen müssen oder sollen, auf das Vater-Sohn-Verhältnis Einfluß zu nehmen, darüber möchte ich kein Urteil ablegen.
Gewünscht hätte ich es mir natürlich. Und als seine Ehefrau hätte sie sicherlich noch mehr Möglichkeiten gehabt, als meine Schwester, die mich übrigens auf ihrem Instagram-Account schon seit etwa zwei, drei Jahren blockiert hat.
Das Wort Familie kann man bei meiner “Familie” nicht anwenden, denn ich habe keine: Von der Mutter über Jahre solange schlecht gemacht, bis Vera-Marleen es irgendwann nicht mehr ausgehalten hat und ich die Reißleine gezogen und den Kontakt abgebrochen habe. Von der Schwester finanziell betrogen mit Uneinsichtigkeit und ohne Versuch, das jemals mit mir zu klären. Und vom Vater seit mehr als 40 Jahren verstoßen, ohne mir jemals einen Grund genannt zu haben. Noch nicht einmal in seinem sehr hohen Alter, in dem sich Menschen oft versöhnen.
Ich überlege noch, ob ich das Foto dieses Menschen als Protagonisten dieses Blogartikels hier poste. Immerhin ist es ja öffentlich auf Instagram zu sehen …
Ja, ich tue es. Hier ist er, mein “Vater”, der Professor, der mich vor mehr als vierzig Jahren verstoßen hat, ohne mir je einen Grund dafür genannt zu haben, und inmitten seiner antiken Schätze sitzt, die ihm offensichtlich wichtiger waren als Menschlichkeit. Aber auf ein humanistisches Gymnasium mit toten Sprachen wie Latein und Altgriechisch hat er mich geschickt…
Vielleicht interessiert dich auch mein Blog-Artikel “Meine Heimat Bingen am Rhein”
Unglaubliches BGH-Urteil für einen verstoßenen Sohn
Wenn Eltern ihre Kinder verstoßen
Eltern verzeihen, obwohl man verstoßen wurde?
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[…] Das war am 16. Februar Februar 2016. Diesen Tag werde ich nie vergessen, da zufällig es auch der Geburtstag meines Vaters ist. Und in der darauffolgenden Zeit wurde ich immer wieder ohnmächtig, meist kurz nachdem ich […]
[…] Rimini der schönste Urlaub als Kind, an den ich mich erinnere. ( Mehr von diesen beiden Urlauben in diesem Blogartikel […]
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Vermutlich war oder ist dein Vater mit der Situation total überfordert. Vergessen hat er niemanden, schließlich ist er als Professor ein intelligenter, intellektueller Mensch.
Er hat offenbar eine neue Familie, der er sich im Tagesablauf loyal verpflichteter fühlt als den Angehörigen seiner Vergangenheit.
Das deutet auf einen relativ schwachen Charakter, ist leider jedoch weit verbreitet.
Daß sich bei ihm selbst im allerhöchsten Alter keine Einsicht Bahn und Kraft verschafft ist natürlich für dich persönlich ein absolutes Trauerspiel. Mein Beileid dafür.
Wie alle solchen Dinge spielen sie weltgeschichtlich keinerlei Rolle, was allerdings kaum tröstet. Ich versuche es trotzdem.
Danke dir dafür, dass dich mein Problem interessiert hat und für dein Feedback. Zumindest hast du mich mit der Einschätzung, dass dies weltgeschichtlich keinerlei Rolle spielt, zum Lachen gebracht.
Ich hoffe, dass dieses “Trauerspiel”, wie du es zutreffend nennst, irgendwann endlich mal beendet ist und ich damit abschließen und zur Ruhe kommen kann.
Mein Vater ist mit 62 Jahren gestorben und ich konnte mich nicht mehr mit ihm versöhnen….das belastet mich ebenfalls sehr!
Bei mir ist es ja etwas anders, lieber Martin. Wir haben uns ja nie gestritten. Er scheint einfach nichts mit mir zu tun zu haben wollen, aus welchen Gründen auch immer. Und alle Kontaktversuche – schriftlich oder telefonisch – sind in den letzten 38 Jahren gescheitert. Und wenn ich es jetzt, in seinem doch sehr hohen Alter von bald 92 Jahren nochmal versuche, sieht es nach Erbschleicherei aus. Das wäre nicht meine Intension, denn als Sohn steht mir ja die gesetzliche Erbfolge bzw. mindestens der Pflichtteil zu.
Dass du dich mit deinem Vater, offensichtlich nach einem Streit, nicht mehr versöhnen konntest, tut mir sehr leid. Aber er hätte ja auch auf dich zukommen können, denke ich. Doch jeder Fall ist anders. Da kann man sich natürlich “aus der Ferne” kein Urteil erlauben.
Es wäre aber gut, wenn du damit abschließen könntest und dich nicht länger damit belastest.
Liebe Grüße Andi